Sentimentaler Schmuck – Botschaften der Liebe, Erinnerung und Verbundenheit
Sentimentaler Schmuck ist weit mehr als ein dekoratives Accessoire. Besonders im viktorianischen Zeitalter (1837–1901) war er ein bedeutungstragendes Medium – ein Ausdruck tiefer Gefühle, persönlicher Erinnerungen und sozialer Beziehungen. Ob Liebe, Freundschaft oder Trauer: Schmuckstücke wurden mit klaren Botschaften versehen und mit großer Symbolkraft gestaltet.
Was macht sentimentalen Schmuck aus?
Charakteristisch für sentimentalen Schmuck sind seine ausdrucksstarken Motive und Materialien. Herzen, ineinander verschränkte Hände, Schlangen, Vögel, Knoten und Blumen dienten als universelle Symbole der Liebe, Treue und Hoffnung. Auch heute noch kennen wir diese Sprache des Schmucks – etwa in Form von Eheringen oder Herzanhängern. Doch im viktorianischen Kontext war sie besonders reichhaltig und kunstvoll codiert.
Ein klassisches Beispiel ist die herzförmige Schlossbrosche, die den Gedanken des Sich-Versprechens oder des Bewahrens von Gefühlen verkörpert. Auch Ringe, Anhänger und Medaillons trugen persönliche Botschaften – häufig versteckt oder chiffriert.
Die Sprache der Edelsteine und Blumen
Ein faszinierendes Element war die Verwendung der sogenannten Akrostik: Edelsteine wurden so ausgewählt, dass ihre Anfangsbuchstaben Wörter bildeten – etwa ADORE (Amethyst, Diamond, Opal, Ruby, Emerald). Solche Schmuckstücke waren besonders intim, da sie nur für Eingeweihte lesbar waren.
Die Geheimsprache sagt: ADORE (Amethyst, Diamant, Opal, Rubin und Emerald (Smaragd)
Schlangen, Hände und andere Symbole
Die Schlange hatte im viktorianischen Symbolvokabular eine besonders positive Bedeutung: Sie stand für Ewigkeit, Treue und unendliche Liebe – eine Symbolik, die durch den von Prinz Albert entworfene Verlobungsring für Queen Victoria breite Popularität erlangte.
Eine in sich verschlungene Schlange steht für Ewigkeit
Ebenfalls weit verbreitet waren ineinander verschlungene Hände („clasped hands“) – Sinnbilder für Bindung, Vertrauen und Zusammenhalt. Diese tauchen nicht nur auf Broschen, sondern auch auf Siegelringen und Anhängern auf. Auch die Sprache der Blumen fand im Schmuck Ausdruck. Besonders beliebt war das „Vergissmeinnicht“, oft dargestellt durch in Blumenform gefasste Türkissteine – eine zarte Erinnerung daran, nicht vergessen zu werden.
Mizpah – Erinnerung auf Distanz
Ein besonderes Highlight unter den sentimentalen Schmuckstücken ist die Mizpah-Brosche. Das Wort „Mizpah“ stammt aus dem Hebräischen und bedeutet „Wachturm“. Es verweist auf eine Bibelstelle (Genesis 31:49) und symbolisiert die Verbundenheit zweier Menschen, auch wenn sie räumlich getrennt sind. Die typische Gravur lautet:
„Mizpah – The Lord watch between me and thee when we are absent from one another.“
Diese Broschen – oft in Form zweier Herzen – waren Ausdruck tiefer Zuneigung, Hoffnung und gegenseitiger Fürsorge. Sie existieren auch als Ringe und sind heute gesuchte Sammlerstücke.
Trauer und Erinnerung
Die mittlere viktorianische Periode (ca. 1860–1885) war stark von Trauerschmuck geprägt – ausgelöst durch den frühen Tod von Prinz Albert im Jahr 1861. Queen Victoria trug über Jahrzehnte hinweg schwarze Kleidung und Schmuckstücke aus Jet (Gagat), Onyx, Vulkanit oder Amethyst, was eine breite Modebewegung auslöste. Die Stücke dieser Zeit waren häufig mit Symbolen wie Kreuzen, Herzen, Weiden oder Ankern versehen – Ausdruck von Trauer, Hoffnung und Standhaftigkeit.
Absoluter Trend: Schmuck aus echten Haaren
Ein besonders intimes Medium war der Haarschmuck. Aus den Haaren geliebter – oft verstorbener – Personen wurden Ringe, Medaillons, Armbänder oder Broschen gefertigt. Die Bandbreite reichte von lose eingelegten Haarlocken bis hin zu kunstvoll geflochtenen oder gestickten Ornamenten. Der Leitspruch lautete:
„Whose hair I wear, I loved most dear.“
Obwohl Haare auch zu Lebzeiten verschenkt wurden, war diese Form des Schmucks vor allem als Gedenkschmuck beliebt.
Ein typischer Trauerring mit geflochtenen Haaren hinter Glas, 1821
Bereits im 16. Jahrhundert war der Memento Mori-Schmuck („Gedenke des Todes“) weit verbreitet. Schmuckstücke mit Totenköpfen, gekreuzten Knochen, Sanduhren oder Särgen erinnerten an die Sterblichkeit – oft gestaltet in Gold, mit schwarzer Emaille und Edelsteinen. In der georgianischen Epoche (1714–1830) wurden Memento Mori-Ringe auch als Trauerringe an Beerdigungsgäste verteilt, graviert mit Namen, Alter und Todesdatum des/der Verstorbenen – oft begleitet von Handschuhen oder Trauerbändern.
Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts gerieten Haar- und Memento Mori-Schmuck zunehmend aus der Mode. Viele Stücke wurden später eingeschmolzen oder gingen verloren. Umso wertvoller sind die heute noch erhaltenen Raritäten, die uns an einen sehr persönlichen, oft melancholischen Umgang mit Erinnerung und Endlichkeit erinnern.
Sentimentaler Schmuck ist ein eindrucksvolles Fenster in vergangene Gefühlswelten. Er erzählt von Liebe und Verlust, Nähe und Distanz – oft verschlüsselt in Symbolen, Materialien und Gravuren. Die emotionale Tiefe und symbolische Komplexität machen ihn heute zu einem faszinierenden Sammel- und Forschungsfeld.