In memory of my dear sister jane

Eine blonde Haarlocke im goldenen Anhänger

Dieser antike viktorianische Anhänger gehörte der 13-jährigen Sarah Wornell aus Yatton, Somerset, England, und erzählt die berührende Geschichte zweier eng verbundener Schwestern im 19. Jahrhundert. Er ist ein kunstvoll gearbeitetes Schmuckstück, das mehr als nur materiellen Wert besitzt – ein stiller Zeuge einer in Vergessenheit geratenen Familie und von Liebe, Verlust und Erinnerung.
Das Medaillon besteht aus 18-karätigem Gold. Die fein gearbeitete florale Umrahmung und die Deckel mit filigranen Gravuren verleihen ihm eine besondere Eleganz. Eine Gravur im Inneren trägt die Worte „In Memory of my dear Sister Jane Wornell“ – zusammen mit den Lebensdaten: 20. November 1814 – 1. November 1833.
Der Anhänger verfügt zudem über eine Vinaigrette-Kammer, verziert mit aufwendig gravierten floralen Motiven, die einst mit Duftstoffen gefüllt wurde, sowie über eine weitere Klappe, die eine kleine Glasscheibe schützt – hinter der sich eine Haarsträhne verbirgt. Eine letzte, greifbare Erinnerung an die verstorbene Jane. Diese Gedenkgeste war im 19. Jahrhundert eine gängige Form des Trauerschmucks. Auf der Außenseite des Schmuckstücks sind die Initialen "SW" eingraviert, die die Besitzerin des Anhängers identifizieren: Sarah Wornell.

Wer waren Jane und Sarah Wornell?
Eine Recherche im „Register of Baptisms in the Parish of Congresbury in the County of Somerset“ und im „Register of Burials in the Parish of Yatton“ liefert erste Hinweise. Sarah Wornell wurde als sechstes und letztes Kind von John und Betty Wornell aus Congresbury, Somerset, geboren und am 4. April 1820 getauft. Ihre ältere Schwester Jane, deren Haarlocke im Anhänger verewigt ist, wurde am 23. Mai 1815 getauft. Überraschenderweise findet sich im Register auch ein Eintrag für einen Jungen namens Joseph Wornell – getauft am selben Tag und im gleichen Alter wie Jane. Die Erkenntnis: Jane hatte einen Zwillingsbruder.
Die Familie von Jane und Sarah lebte seit mehreren Generationen in Yatton im ländlichen Somerset. Ihr Vater John Wornell arbeitete als Yeoman, als er Betty Tucker aus Cannington kennenlernte. Dem „Marriage Register“ zufolge heirateten die beiden am 17. August 1809 in der Parish Church of Lineham (Lyncham). John und Betty Wornell bekamen insgesamt sechs Kinder – vier Jungen und zwei Mädchen. Zwei Söhne starben jedoch im Kleinkindalter.

Yatton – Ein historischer Ort
Zur Zeit der Familie Wornell war Yatton ein ruhiges, landwirtschaftlich geprägtes Dorf in Somerset. Es lag strategisch günstig nahe der Küste und war ein wichtiger Punkt entlang alter Handelsrouten. Die Kirche St. Mary the Virgin, in der viele Familienmitglieder beigesetzt wurden, war bereits ein bedeutendes Zentrum des Ortes. Yatton bestand vor allem aus Bauernhöfen und traditionellen Steinhäusern, umgeben von weitläufigen Feldern.
Das Haus der Familie Wornell, das Causeway House, ist ein beeindruckendes Beispiel für die Architektur des 17. Jahrhunderts. Mit seinen massiven Steinmauern, großen inglenook-Kaminen und sichtbaren Holzbalken verkörpert es den Charme eines typisch englischen Landhauses. Besonders auffällig sind die beiden georgianischen Erkerfenster mit Blick auf den Garten. Das Causeway Haus zur Zeit meiner Recherche auf dem Immobilienmarkt und gibt mir über das Exposé des Maklers ungeahnte Einblicke in die Innenräume, den Garten und detaillierte Beschreibungen. So steht im Exposé:

“The house retains a multitude of period features so highly sought after with this type of home and includes a number of large inglenook fireplaces, exposed beams and two particularly attractive Georgian style bay windows overlooking the rear garden. Just above is the attic with its hidden access door and tight staircase - maybe the place to put a train set or the let the children have a sleep over?”

In der georgianischen Zeit beheizten die offenen inglenooks das Haus und dienten als Kochstelle. Das Foto vom inglenook im Exposé  über das Causeway House hat Gänsehaut-Potenzial. Saß hier die Familie Wornell? Das Haus war nicht nur ein Wohnsitz, sondern auch ein Symbol für den sozialen Status der Familie, die offenbar durch Wohlstand und Ansehen ausgezeichnet war. Dass die Wornells in einem solch stattlichen Haus lebten, spricht für ihren Einfluss in der Dorfgemeinschaft.

Eine Familie gezeichnet von Schicksalsschlägen
Als der Vater John 1822 im Alter von 65 Jahren unerwartet stirbt, bleibt die Mutter Betty mit vier kleinen Kindern zurück: John, den Zwillingen Jane und Joseph, und der kleinen Sarah, die zu diesem Zeitpunkt erst zwei Jahre alt war. Sarah lernte ihren Vater demnach nie richtig kennen.
Das Unglück nimmt kein Ende: 1829 sterben innerhalb weniger Monate die beiden Söhne John (18) und Joseph (14) – vermutlich an einer damals verbreiteten Krankheit wie Tuberkulose oder Typhus.
Die Schwestern Jane und Sarah lebten fortan mit ihrer Mutter allein. Die schwere Zeit schweißte die drei Frauen vermutlich eng zusammen. Doch vier Jahre später, am 1. November 1833, stirbt auch Jane im Alter von nur 19 Jahren. Sie wird am 9. November 1833 in der St. Mary the Virgin Church in Yatton beerdigt. Dies ist der Moment, in dem ihre Haarlocke in den goldenen Anhänger gelangt – ein Erinnerungsstück für ihre kleine Schwester Sarah.

Jane Wornells Eintrag im Burial Register in the Parish of Yatton, Somerset, 1833

Ein wertvolles Erbstück mit kurzer Tragedauer
Sarah bekommt zur Erinnerung an ihre geliebte Schwester ein goldenes Medaillon mit einer Haarlocke von Jane und der Gravur „In Memory of my dear Sister Jane Wornell“. Der Anhänger war für eine 13-Jährige ungewöhnlich kostbar – was darauf schließen lässt, dass die Familie wohlhabend war. Tatsächlich zeigen historische Volkszählungen, dass Betty Wornell als „annuitant“ geführt wurde, was bedeutet, dass sie eine Rente oder Hinterbliebenenversorgung erhielt. Sie lebte weiterhin im Causeway House und hatte Hauspersonal.
Doch die kleine Sarah sollte den Anhänger nicht lange tragen. Nur zwei Jahre nach dem Tod ihrer Schwester stirbt sie selbst – mit nur 15 Jahren. Sie wird am 21. Februar 1835 in Yatton beigesetzt. Damit wird traurige Gewissheit: Alle sechs Kinder der Familie Wornell starben, bevor sie das Erwachsenenalter erreichten.
Betty Wornell überlebte alle ihre Kinder. Die Volkszählungen von 1851 und 1861 zeigen sie als wohlhabende Witwe, gemeinsam mit ihrem Neffen, ihrer Nichte und Bediensteten im Haushalt. Als Betty 1863 im Alter von etwa 89 Jahren stirbt, hinterlässt sie ihrem Neffen 2000 Pfund – eine beachtliche Summe für die damalige Zeit. Doch was aus dem Anhänger wurde, blieb lange ein Rätsel.

Ein Andenken für die Ewigkeit
Mit Janes Tod wurde aus der Haarlocke ein symbolischer Anker der Erinnerung. Ihre kleine Schwester Sarah bewahrte diese kostbare Strähne in einem goldenen Anhänger auf, den sie vielleicht stets bei sich trug. Nach Sarahs frühem Tod war es vermutlich ihre Mutter Betty, die den Anhänger als letzte Hinterbliebene aufbewahrte.
Meine Recherche brachte vieles ans Licht, doch die Kirchenbücher gaben keinen Hinweis auf Grabsteine für die Wornell-Kinder. Während meiner Suche kontaktierte ich die Yatton History Society – einen kleinen, ortsansässigen Verein –, der mir zunächst keine Antwort darauf geben konnte, wer die Wornells waren und wo ihre Ruhestätte lag.
Tatsächlich setzte sich aber die hilfsbereite Vereinsvorsitzende nochmals mit der Archivarin zusammen und antwortete kurze Zeit später in einer E-Mail:

“Hello again Janina. My consultation with our Society archivist has proved helpful.
We have a poor handwritten copy of a burial list (which we had not examined previously) and which does indeed include the Wornells among many other names. This is a list of people buried within the church crypt area under the current building, whose graves are not visible at all. I have to admit that I had no idea this was a possibility, so we are very grateful to you for bringing this to our attention”.

Diese überraschende Entdeckung brachte ihre letzte Ruhestätte ans Licht: Die Yatton History Society fand auf meine Anfrage hin eine handschriftliche Liste von Beisetzungen in der Krypta der St. Mary’s Church – einem verborgenen Ort, an dem nur wohlhabende und angesehene Gemeindemitglieder bestattet wurden. Die Familie Wornell lag seit fast zwei Jahrhunderten in der Krypta verborgen – ihre Namen in Vergessenheit geraten.

Die St. Mary’s Church in Yatton (Bild: Yatton History Society)


Ein Fund nach fast 200 Jahren
Im Jahr 2024 hielt ich dieses Schmuckstück zum ersten Mal in den Händen. Ein englischer Antikhändler, von dem ich den Anhänger erwarb, meinte, es sehe aus, als hätte es 200 Jahre lang in einer Schublade gelegen – makellos erhalten. Seine Reise bleibt ein Geheimnis, doch eines ist sicher: Die Haarlocke, sorgsam hinter Glas bewahrt, erzählt noch immer von Jane Wornell – der geliebten Schwester, die viel zu früh gehen musste, und von den vielen Kindern, die niemals das Erwachsenenalter erreichten.
Heute erinnert dieses kostbare Stück nicht nur an Jane, sondern an eine ganze Familie, deren Geschichte beinahe verloren gegangen wäre. Ein Relikt aus einer vergangenen Epoche, das noch immer von Liebe, Trauer und Erinnerung zeugt.

In Anerkennung des unermüdlichen Kampfes, die Kindersterblichkeit zu überwinden – damals, heute und in der Zukunft.

Zurück
Zurück

In the Vault Beneath: A georgian Mourning Ring Returns Home

Weiter
Weiter

Sentimentaler Schmuck – Botschaften der Liebe, Erinnerung und Verbundenheit